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Einführung in die Ausstellung „Augenblicke“

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*Einführung in die Ausstellung „Momente“, Haus Metternich, Koblenz, am

  09.11.2019 durch Frau Dr. Lieselotte Sauer-Kaulbach

Nein, einfach ist die Zeit nicht, in die Heinrich Wolf am 2. November 1919, im Haus in der Florinspfaffengasse 12, mitten in der Koblenzer Altstadt, hineingeboren wird. Der Erste Weltkrieg ist gerade vorüber. Koblenz ist, wie das gesamte linksrheinische Gebiet und entsprechend den Vereinbarungen des Friedensvertrags von Compiègne und des einige Monate später ausgehandelten Vertrags von Versailles, von den Truppen der alliierten Siegermächte besetzt, ist amerikanische Besatzungszone. Über der Festung Ehrenbreitstein wehen die Stars and Stripes. Dass die Festung überhaupt noch existiert, verdanken die Koblenzer General Henry Tureman Allen, der sich gegen den französischen Marschall Ferdinand Foch durchgesetzt und gegen die Schleifung der Anlage ausgesprochen hat.

Früher als vereinbart, 1929, ziehen sich die Amerikaner aus Koblenz zurück. Ein Dreivierteljahr später, nachdem auch die französischen Truppen im Juni das Rheinland verlassen haben, am 22. Juli 1930, findet in Anwesenheit von Reichspräsident Paul von Hindenburg in Koblenz, wie zuvor schon in anderen Städten, eine Befreiungsfeier statt. Höhepunkt ist am Abend ein großes Feuerwerk. Was als Freudenfeier begonnen hatte, endet in einer Katastrophe. Als sich nach dem Feuerwerk, gegen 23 Uhr, Menschenmassen auf den Heimweg nach Neuendorf machen und über die Pontonbrücke an der Einfahrt zum Lützeler Hafen drängen, stürzt die Brücke ein. 38 Menschen kommen bei dem Unglück ums Leben.

Das Unglück erscheint wie ein böses Omen für das Unheil, was Deutschland bevorsteht und was auch Wolfs Jugend überschatten wird. Heinrich absolviert eine Lehre als Schlosser, kauft sich vom ersten selbstverdienten Geld eine Kamera, engagiert sich in der katholischen Jugendbewegung. Als Sturmscharführer in der Gemeinde St. Josef – die Sturmschar war 1929 aus Teilen der „Deutschen Jugendkraft“ und des „Katholischen Jungmännerverbandes“ hervorgegangen – reist er mit 1500 anderen Jugendlichen, Pfadfindern und Mitgliedern der Sturmschar, 1935 nach Rom. Auf der Heimreise wird die Gruppe an der deutsch-schweizerischen Grenze von der Gestapo aufgehalten und durchsucht, Gleich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 war auch die katholische Jugendbewegung strengen Restriktionen unterworfen. Erst nach Protesten aus dem Ausland dürfen die Jugendlichen weiterreisen. Wolf gilt trotzdem als politisch unzuverlässig, er wird drangsaliert und verhaftet, arbeitet schließlich als Schlosser in Kiel, wird zur Marine eingezogen und kehrt nach Kriegsende in seine Heimatstadt zurück.

In eine Stadt, die von den verheerenden Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs in weiten Teilen dem Boden gleichgemacht ist. Immerhin hat seine Kamera, die seine Mutter gut versteckt hatte, den Krieg heil überstanden. Und Heinrich Wolf fotografiert, auch wenn das eigentlich verboten ist und Filme nur schwer zu bekommen sind. Fotografiert Szenen der Zerstörung, die einem geborenen Koblenzer das Herz zusammenziehen müssen. Die Altstadt liegt in Trümmern, das Alte Kaufhaus gleicht einer Potemkinschen Fassade, überall ragen Mauern wie bleiche Knochen aus dem Boden, leere Fenster starren den Betrachter auf den Fotos wie Augenhöhlen aus Totenschädeln an. Auch die Koblenzer Kirchen sind der Verwüstung nicht entkommen, Türme, Gewölbe sind eingestürzt. Schwer getroffen hat es das Dominikanerkloster in der Weißergasse; nach den Bombenangriffen vom 22. April 1944 stehen von der Klosterkirche nur noch die nackten Außenmauern. In den 50er Jahren wird man die Kirche abreißen und an ihrer Stelle die Clemens Brentano-Realschule errichten.

Fotografie wird, und das nicht nur für Heinrich Wolf, zum unersetzlichen, oft unweigerlich Verlorenes festhaltenden Dokument. Vielleicht formiert sich deshalb schon 1949 bei der VHS Koblenz eine Foto-Arbeitsgemeinschaft, die Keimzelle des sieben Jahre später gegründeten, in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiernden Foto-Clubs Koblenz, der auch Wolf angehört. Der dokumentiert jetzt mit seiner Kamera nicht nur die Zerstörung seiner Stadt, sondern, optimistischer stimmend, den beginnenden Wiederaufbau, das sich normalisierende Leben, das aufkeimende Wirtschaftswunder.

Das große, aus dem 16. Jahrhundert stammende Kruzifix an der im Krieg völlig zerstörten, 1958/59 nach Plänen des Kölner Architekten Gottfried Böhm wiederaufgebauten Jesuitenkirche, an dem ein Steinmetz arbeitet – Handwerker bei der Arbeit beobachtet Wolf gerne -, der Augenroller am Alten Kaufhaus, der wieder in Gang gebracht wird, das Gerüst für den Wiederaufbau des eingestürzten Turms der Liebfrauenkirche, bereits fertige Gebäude, aus der Untersicht heraus betrachtet, die mit ihren regelmäßigen, seriellen Fensterreihen typisch für die 50er, die frühen Jahre sind und heute wieder erstaunlich modern wirken. Das sind keine spektakulären und nie inszenierten Aufnahmen, wohl aber Fotos, die gerade deshalb so authentisch sind.

Das ist es generell, was die Fotos von Heinrich Wolf – mehr als 100.000 sind es in dem von seinem Sohn Martin betreuten Archiv – kennzeichnet und so wertvoll macht: ihre Authentizität. Authentisch wie die Menschen, die er Fotograf mit seiner Kamera einfängt, Menschen auf dem Bahnsteig inmitten ihres ganzen Gepäcks, eine Familie, die sich vor ihrem Käfer zum Ausflug versammelt, Besucher, die vom Ehrenbreitstein herab auf das Deutsche Eck, natürlich noch ohne Kaiser schauen – das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. war am 16. März 1945 von einer Artilleriegranate der 3. US-Armee vom Sockel geschossen worden -, die weiblichen Wesen in weiten, von Petticoats gebauschten Röcken.

Wie hier lässt Wolf den Betrachter gerne über die Schulter von Personen auf das blicken, was auch die ins Bild Gebannten sehen, ein Kunstgriff, der stets für Lebendigkeit sorgt, wie in der Aufnahme, in der zwei Frauen an dem noch unverhüllten, wohl seiner Einweihung harrenden steinernen Kurfürsten Balduin über die bei Kriegsende von Truppen der Wehrmacht teilweise gesprengten, bis 1949 wieder aufgebauten Moselbrücke spazieren. Geschaffen hat die Skulptur der Koblenzer Bildhauer Rudi Scheuermann. Die Beziehung, die sich zwischen der weiß verhüllten Statue und der hell gekleideten, mit einem breitrandigen weißen Hut ausstaffierten Frau ergibt – so etwas muss man erst einmal sehen, vor allem in einem kurzen Augenblick.

Der Kniff, den Betrachter mit den Fotografierten ins Bild hineinschauen zu lassen, wirkt auch dann, wenn Wolf Kinder fotografiert, wie den kleinen Jungen, der an einem Seeufer sitzt und melancholisch in die Ferne schaut. Wolf liebt Kinder, mit Elisabeth Lux, die er 1954 heiratet, hat er eine Tochter und vier Söhne. Zu einem der nettesten Fotos der Ausstellung zählt für mich dasjenige, das drei seiner Sprösslinge zeigt, die wie gebannt auf ein Bündel Karten in der Hand des mittleren Kindes starren. Die Karten wären heute ein Smartphone.

Das Schöne an den Fotos von Heinrich Wolf ist auch, dass er sich motivisch nicht festlegt. Er ist kein Architekturfotograf und hat doch ein offenes Auge für den spezifischen Reiz von Architektur, für Treppen, die sich wie ein Treppenhaus winden. Er ist kein Grafiker und sieht doch das grafische Potenzial von Bildern, mögen das nun Ruderboote auf dem Rhein sein, deren schlanke Gestalt mit der schmalen, von Bäumen bestandenen Insel korrespondiert, ein Handwerker, der auf einer hohen Leiter ganz oben am Bildrand an der Wand hängt oder das Deutsche Eck, das von oben betrachtet wie ein Schiffsbug wirkt. Die gezielte Perspektive unterstreicht hier, wie oft, noch den immanenten Charme, die fotografische Qualität eines Motivs.

Sehen können muss man halt, Ästhetisches auch im Alltäglichen, in der vertrauten Landschaft entdecken. Die Gänse am Neuendorfer Ufer, die Burgen an der Mosel, das wie ein dunkles Auge wirkende Gewässer in der Eifel, die winterlichen Weinberge. Und natürlich gehören zur vertrauten Landschaft deren Menschen, die Winzer bei ihrer mühseligen Arbeit in den Steilhängen, die Bauern mit ihren hoch mit Heuballen bepackten Wagen, die Fischer, die schon damals am Rhein nahezu ausgestorben, die Flößer, die längst Geschichte sind.

Da ist es dann wieder, Fotografie als Dokument des Unwiederbringlichen. Dabei ist Heinrich Wolf nie der allein nüchterne, objektive Beobachter und Chronist. Dafür war er wohl in vielerlei Hinsicht zu eng verbunden mit seiner Heimat. Vielleicht ist mittlerweile auch die Menschlichkeit, die aus vielen seiner Aufnahmen spricht, die sie so wertvoll macht, unwiederbringlich und Geschichte.

Auch wenn sich die Mitglieder des Foto-Clubs, der Geschlossenheit der Ausstellung halber, überwiegend auf Schwarz-Weiß-Aufnahmen eingelassen haben: Ein halbes Jahrhundert später sieht Fotografie einfach anders aus, muss es auch. Die Heimatverbundenheit, die noch bei Heinrich Wolf eine so große Rolle spielte, sein dokumentarischer Ansatz ist nur noch bei wenigen so ausgeprägt, im Vordergrund steht für das Gros jetzt der kreative Umgang mit der Fotografie, das Ausloten ihrer künstlerischen Möglichkeiten.

Dabei fällt auf, dass die Konzentration auf das Schwarz und Weiß auch zu einer Konzentration auf bestimmte Motive führt. Auf Motive, bei denen de Fotografie ihrem Namen alle Ehre macht, ihre Verwandtschaft zur Druckgrafik, zur Zeichnung zeigt. Da wird dem im Motiv schon innewohnenden grafischen Potenzial von Landschaft, mag dies nun die heimische oder die herbe, von Feuer und Eis geformte Islands sein, genauso nachgespürt wie dem von Architektur, widmet frau oder man sich gerne auch Strukturen und seriellen Effekten, ob dies nun eine winterlicher Obstplantage ist – da ist eine direkte Verbindung zu Wolfs Weinbergen gegeben! – sich faszinierend ausbreitende Wellen auf einem Fluss oder Fensterreihen an Häuserfassaden sein.

Da verleiht der Schwung von Hügeln oder der von Treppenhäusern Fotos ihren ganz eigenen Rhythmus, prallen mal das Schwarze und das Weiße, Licht und Schatten gezielt kontrastiv und hart aufeinander, wird geradezu in Manier der konkreten Kunst mit Flächen gespielt, etwa bei einem aus der Untersicht heraus aufgenommenen Brückenfoto. In anderen Fällen spüren die Fotografierenden virtuos und beinahe malerisch mit der Skala der sich zwischen dem Schwarzen und dem Weißen ergebenden Grauabstufungen nach, spielen bei Landschaftsaufnahmen mit einem Sfumato, das an Turnersche Aquarelle denken lässt.

Auch der Mensch findet sich nach wie vor Motiv, wie eine ganze Reihe eindringlicher Porträts dokumentiert. Da werden häufig nicht Gesichter ausgewählt, die die glatte Schönheit von werbewirksamen Models besitzen, sondern Gesichter, die Geschichten erzählen. Gesichter, die en face oder im Profil vom Leben gezeichnet sind, in denen Freude und Leid ihre Spuren hinterlassen haben, die so zu einer ausdrucksstarken „Gesichtslandschaft“ werden. Mag die Kamera dabei den Porträtierten auch noch so nahe kommen: Voyeuristisch, aufdringlich ist keine dieser Aufnahmen, die Würde des Menschen bleibt nicht nur bewahrt, sondern wird so erst richtig bewusst gemacht.

Mit Heinrich Wolf teilen etliche der Ausstellenden die Liebe zur oft übersehenen Schönheit, zur ästhetischen Qualität selbst im Kleinsten und Alltäglichsten. Da wirken die hauchzarten, die Samen transportierenden Schirmchen eines verblühten Löwenzahns wie eine filigrane Zeichnung, ähnlich wie die zwischen den Masten schwingenden Drähte einer Telefon- oder Stromleitung, die ins Nirgendwo zu führen scheinen, den betrachtenden Blick mit in die Ferne ziehen, so, wie es auch der Blick in den U-Bahn-Tunnel tut oder der auf zwei am Strand schaukelnde, tatsächlich wie von aller Schwere gelöste Kinder, die unter den gewählten Lichtverhältnissen fast wie ein Scherenschnitt anmuten.

Das, was einen guten Fotografen auch heute ausmacht, ist nicht nur die Kunst des Sehens, die teilweise herzlich wenig zu tun hat mit dem, was da auf Instagram oder bei Pinterest die Bilderflut im Internet anschwellen lässt. Es ist eben auch der kreative Umgang mit den mittlerweile nahezu unbegrenzten technischen Möglichkeiten der Fotografie, es ist die Wahl der Perspektive, die Gewohntem ungewohnten Reiz verleiht, so dass das Auge hängen bleibt, wie bei der Aufnahme, mein Favorit im oberen Stockwerk, die aus der Untersicht heraus ein von Gebäuden umringten Innenhof in Berlin zeigt, der klaustrophobische Gefühle erzeugen könnte, wäre da nicht oben der fast kreisrunde Himmelsausschnitt, über dem ein Flugzeug in eine grenzenlose Freiheit aufzusteigen scheint.

*Spontaner Hinweis zum Ende der Ausführung (hier inhaltlich widergegeben):

Und zu den Möglichkeiten der Fotografie auch der Hinweis, dass ein gutes Foto sich auch von der wirklichen Aufnahmesituation lösen kann, wie mir Herr Schaust im Gespräch den Hinweis gab, z.B. das Bild am Treppenaufgang. Es ist gedreht, auf den Kopf gestellt, und zeigt nicht mehr die Aufnahmesituation, sondern verweist auf Form, auf grafische, geometrische Bildelemente.

*(Anmerkung: kursive Textstellen sind dem Originalredemanuskript eingefügt)

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